Die Welle

"Die Autokratie vereint als Staatsform alle zentralen Kompetenzen des politischen Systems in einer zentralen Kraft und sieht in keiner Weise die Beteiligung des Volkes an der Staatsgewalt vor. Der Inhaber all dieser Kompetenzen kann eine einzelne Person oder eine Gruppe sein."

Morton Rhue's "Die Welle", selbst nach einer wahren Geschichte verfasst, erlebte schon viele Verfilmungen. Nun wagt sich mit Dennis Gansel ein deutscher Regisseur an das kontroverse Thema.

Schule, Projektwoche mit Politik, Autokratie mit einem beliebten Lehrer auf einem ungeliebten Gebiet. Was eintönig und unspektakulär beginnt, lässt durch Aussagen der Schüler im Lehrer (Herr Rainer Wenger, "Rainer") eine Idee aufkommen. Ist es wirklich unmöglich, in Deutschland eine Autokratie zu errichten? Er versucht es, rein aus pädagogischen Gründen - und all die aufgeklärten Schüler sind diszipliniert, nahezu wünschenswert vorbildlich, entwickeln Gemeinschaftssinn und merken nicht, dass hinter allen Methoden sozialer Druck entsteht. Unfolgsame und Querdenker werden ausgeschlossen oder gehen freiwillig oder werden dem Druck der Masse ausgesetzt. Einheitliche Kleidung, ein gemeinsames Logo, ein Gruß, der die Gruppe ausmacht...alles für sich allein durchaus Maßnahmen mit sinnvollen Hintergrund, die jedoch die Schüler übers Ziel hinausschießen lassen. Die Gemeinschaft wächst, erste Straftaten werden im Sinne des Gemeinwohls ohne Zweifel und Reue begangen, wer nicht für die Gruppe ist, ist dagegen und wird als Feind behandelt...und Herr Wenger verliert zusehends die Rolle als Leitfigur sondern wird Beobachter einer autonomen, gewaltbereiten Vereinigung.

Am Ende der Woche sind einerseits Freundschaften geschlossen und kulturelle und soziale Unterschiede überbrückt, andererseits Beziehungen zerstört oder zumindestens bedroht. Herr Wenger beschließt, das Projekt mit einer letzten Zusammenkunft zu beenden. Doch nicht jeder will den experimentellen Charakter wahrhaben und die Projektwoche wird durch eine Tragödie abgeschlossen.

Das Buch und frühere Filmversionen bilden eine schwere Hypothek. Vielen Beobachtern ist der Inhalt bekannt, kann nicht mehr überraschen. Dennoch ist es erstaunlich, wie beeindruckend und wirklichkeitsnah dieser Film inszeniert ist. Die Schülergemeinschaft in ihren zahlreichen Facetten spiegelt die heutige Gesellschaft umfassend wieder, Herr Wenger (Jürgen Vogel) ist dementgegend ein eher untypisches Beispiel moderner Pädagogen, aber für seine Rolle ausfüllend geeignet. Der Film verzichtet auf künstlerisches Beiwerk wie skurrile Atmosphären, eindringliche Bilder, hintergründige Dialoge, konstruierte Symbole und holt so die Alltagswelt von der Straße auf die Leinwand. Die Handlung bestimmt den Fluss und steuert unaufhaltsam dem Höhepunkt entgegen, der dann ohne Vorbereitung den Beobachter trifft.

Entgegen landläufiger Meinung handelt der Film nicht von der Umwandlung von Schülern in Faschisten, sondern vielmehr vom Unterschied zwischen "Gut Gemeint" und "Schlecht Gemacht". Das Werk, egal ob in Buchform oder in kinematischer Version, bewirkt die Aufklärung und Verhinderung des eigenen Themas, dessen Wahrheitsgehalt durch die Historie mehr als untermauert wird. Was nicht für möglich gehalten wird, tritt ein, ohne Gegenwehr, aber dafür mit Unterstützung der größten Ungläubigen und Kritiker.

Es ist verwirrend, wie der Film trotz bekannten Inhalts und zielgerichtetem, klarem Fluß derart bewegt und den Wissenden innerlich aufwühlen kann.

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